Nora Gomringer liest.

08/03/2024

Gedichte – wer liest denn sowas?  

Gedichte erkennt man am Reim – oder? 

Gedicht(s)interpretation – nein, danke! 

Challenge accepted! Die Klasse 10c des Luisenburg-Gymnasiums Wunsiedel wagte sich mit ihrer Deutschlehrerin, Jutta Nürnberger, an die Besprechung dieser meist kurzen Texte, die ihre Leser nie kalt lassen.  

Die Inhalte von Gedichten wecken im Gegenteil sofort Assoziationen oder bringen das „Kopfkino“ zum Laufen. Töne und Rhythmen wirken auf die Ohren und den Körper, das Druckbild bietet etwas für das Auge, Wortspiele und Sprachbilder wecken die Phantasie, schaffen überraschende Gedankenverbindungen oder rufen unmittelbar Gefühle hervor. Getreu dem Motto „Ein Bild sagt mehr als 1000 Worte“ werden sprachliche Bilder erdacht und die Worte so ausgewählt, dass im besten Fall ein Leser mitempfinden, ja sogar „sehen“ kann, was im Dichter vorgeht.  

Das alles ist nicht leicht in Worte zu fassen. Und trotzdem wollen die LehrerInnen immer wissen: „Was will uns der Dichter / die Dichterin damit sagen?“  

Tatsächlich ist das gar nicht so schwer zu erkennen. Selbst wenn man nicht weiß, warum oder von wem das Gedicht verfasst wurde, ist leicht zu erkennen: es geht um (gescheiterte) Liebe, Eifersucht, Einsamkeit, kurz, ein schönes oder ein schlimmes Erlebnis.  

Aber grau ist alle Theorie.  

Sicher lässt sich am besten Zugang zu Gedichten durch jemanden findet, der selbst welche schreibt. Und so luden die SchülerInnen Nora Gomringer zu sich ein. Nicht die preisgekrönte Autorin, die weitgereiste Tochter eines bekannten Vaters, die mit Bild- und Klangkünstlern Gesamtkunstwerke Schaffende, sondern die Autorin eines Gedichtes aus ihrem Deutschbuch.  

Das erwies sich als absoluter Glücksgriff. Frau Gomringer zog die SchülerInnen von der ersten Minute an in ihren Bann und begeisterte mit ihrem Vortrag und ihrer Zugewandtheit. Sie las, sang, brummte, rief, sprach rhythmisch und änderte das Tempo genauso spielerisch wie die Tonhöhen. Videos wurden eingespielt, Bilder gezeigt, Gedichte vorgetragen. Dazwischen beantwortete die Dichterin die zahlreichen Fragen der interessierten und begeisterten SchülerInnen. Sie erklärte, keine Reime zu verwenden, da sie das nicht könne, sie erzählte aus ihrem Leben, erklärte die Entstehungsgeschichte ihrer Texte, zeigte auf, wie ihre Gedichte entstanden und vieles, vieles mehr.  

Es standen noch viele Wortmeldungen an, als der unbarmherzige Gong zum Stundenende rief.  

Aber einen äußerst anschaulichen und nachdrücklichen Einblick in das dichterische Tun zu vermitteln hatte Frau Gomringer geschafft. Und dass sie damit auch bei den SchülerInnen einen Volltreffer gelandet hatte, bewies der große Kreis, der sich nach dem Vortrag noch um sie bildete und sich nur zögerlich auflöste.  

In der 10 c hat sich die Einstellung zu Gedichten geändert. Der Mensch dahinter, aber auch der Gedichtvortrag selbst, sein Klang und Rhythmus, bis hin zur Wirkung auf die Gefühlswelt und die Vorstellungskraft des Lesers oder der Hörerin haben nun einen anderen Stellenwert. Gedichte – ja bitte!